In Between
Wer an Kolumbien denkt, denkt vermutlich sofort an Kokain, Drogenkartelle, Pablo Escobar oder an Shakira. Aber hier in Kolumbien passiert viel mehr. Im Jahr 2016 wurde ein Friedensabkommen unterzeichnet, das den bewaffneten Konflikt zwischen der Regierung und der FARC-Guerilla, der ich angehörte, beendete. Die FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia - Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) war die älteste Guerilla der Welt. Sie wurde 1964 in Kolumbien von Bauern und Arbeiter*innen gegründet, die sich zusammenschlossen, um ihr Leben zu schützen und gegen das hohe Maß an Ungleichheit in Kolumbien zu kämpfen. Die FARC war stets ländlich geprägt, verfügte aber auch über Untergrundzellen in städtischen Gebieten. Durch eine von ihnen kam ich in Kontakt zur FARC. Als ich 20 Jahre alt war, ging ich in die Berge und kam nie wieder zurück. Denn, nachdem du die Augen geöffnet hast, kannst du den Blick nicht mehr senken. Nachdem du herausgefunden hast, dass du den Kampf gegen die soziale Ungerechtigkeit gewinnen und helfen kannst, kannst du nicht mehr nach Hause gehen und dich nur noch um deine eigenen Angelegenheiten kümmern. Danach verpflichtest du dich freiwillig, und dein Leben gehört nicht mehr dir, sondern der revolutionären Sache. Zusammen mit mir und vor mir haben Hunderte, Tausende von jungen Menschen die gleiche Entscheidung getroffen, ohne jede Art von wirtschaftlicher oder materieller Entschädigung. Die Revolution muss selbstlos und bewusst sein, einen anderen Weg gibt es nicht. In all dieser Zeit gab es Massaker, Falschmeldungen, Entführungen, Terroranschläge, gewaltsames Verschwinden, Landraub, Angriffe auf die LGBTI-Community, sexuelle Gewalt, Minen, Folter, Angriffe auf die indigene und afrokolumbianische Bevölkerung, Verletzungen aller Art, Korruption, Drogenhandel. Die Gewalt in diesem Land nimmt kein Ende, auch nicht nach unserer Verpflichtung, ohne Waffen zu kämpfen. Nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens im Jahr 2016 wurden mehr als 556 Aktivist*innen ermordet. Außerdem 225 meiner Kolleg*innen, die den Frieden mitunterzeichnet haben. Das ist alles sehr viel, ich weiß. Aber ich hoffe, dass alles ein wenig klarer geworden ist – über den Dschungel, meine Beweggründe, über die Art von Land, in dem ich lebe. Meine Geschichte ist eine von vielen, die heute passiert, eine von vielen, die heute Abend erzählt werden könnte, eine weitere Aufführung in diesem Theater. Sarah Luna Ñustes, Bogotà, Colombia, 2020